Im Sommer erlebt - und nachgedacht
Hinfahren und sich das Ganze mal am Originalschauplatz ansehen. Orte selbst erleben, die in einem Film vorkommen oder in einem berührenden Roman beschrieben werden. Eines von vielen Tourismuskonzepten rechnet mit Menschen, die das gern tun und die dafür weite Wege auf sich nehmen. So gibt sich Görlitz gern als Filmstadt, als „Görliwood“. In Südschweden kann man in Ystad auf den Pfaden von Mankells Wallander schweifen. Das hat schon einen gewissen Reiz. Zumindest für den Kenner der Krimis, der Bücher und Filme.
Als ich während meines Urlaubes das Buch eines österreichischen Schriftstellers gelesen hatte, in dem er vom Leben seiner Mutter, also auch von seiner eigenen Kindheit erzählt, stellte ich nachher fest: Das hat sich doch alles in einem Ort abgespielt, der zufällig nur wenige Kilometer von unserem Urlaubsdomizil entfernt war. Wie schön hatte er alles beschrieben: Den Ort, das Wohnhaus, den Friedhof mit der Mauer und der Kirche in der Mitte, das Hotel für dessen Erweiterung die Mutter aus der Wohnung ausziehen musste. Das kann man sich doch mal anschauen, dachte ich mir.
In dem Haus sind jetzt nicht nur Hotelzimmer, sondern im Erdgeschoss auch das örtliche Tourismusbüro. Nun ist der Autor noch längst keine so berühmte Person wie Henning Mankell. Oder wie Stefan Zweig, über dessen Aufenthalte am Zeller See ein Panoramaweg, der sogenannte Guestbook-Weg informiert. Als ich eine junge Angestellte im Tourismusbüro nach dem Schriftsteller Haas fragte, schaute sie mich an, als hätte ich von ihr einen Kopfstand verlangt. Aber eine ältere Kollegin sprang der Verdutzten zur Seite und erklärte mir, dass sie den Schriftsteller gut kennt, mit ihrem Bruder in die Klasse gegangen war und beide oft bei ihnen zu Hause waren. Als Kinder noch. Freilich kannte sie die Mutter, freilich hatte sie den Roman gelesen. Es ergab sich ein nettes Gespräch, auch darüber, ob das Porträt der Mutter recht geraten sei. Eine kleine zufällige Buchbesprechung.
Ich musste jetzt an ein anderes Buch denken: „Der Schatten des Galiläers“. Das ist im Grunde eine Nacherzählung der vier Evangelien. Dort sucht jemand die Schauplätze auf, an denen sich Jesus aufhielt. Die Orte, an denen er Menschen heilte, predigte, feierte und litt. Der Suchende kommt an Originalschauplätze und mit Menschen ins Gespräch, die ihn, Jesus, kennengelernt haben. Die ihre Sicht auf den Heiland haben. Schön, wenn das auch uns passiert und wir hier spüren: Das alles ist nicht erfunden, sondern hat einen festen Platz im Leben. Auch heute, auch in meinem.
Bücher: Haas, Wolf: Eigentum (2008); Theißen, Gert: Der Schatten des Galiläers (1. Auflage 1986)
Pfarrer Erdmann Wittig Ev. Christuskirchengemeinde Görlitz-Rauschwalde |