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Gedanken zum Wochenlied „O Heiland, reiß die Himmel auf“
Es gibt so viele „lost places“ - vergessene Orte. Erbaute Gebäude, Hallen, Paläste, Fabriken, Wohnhäuser. Damit Menschen darin arbeiten, wohnen, lieben, streiten, hassen und einfach Menschen sind. Heute liegen sich brach, von Naturgewalten zerbrochen. Bäume, Gräser, Insekten und Vögel sind darin heimisch geworden.
Ich wandere durch einen dieser Orte. Meine Finger fahren über die Wand. Sie bereisen die Landkarte der Zerstörung. Irgendwann hat es das Mauerwerk nicht mehr ausgehalten. Die Spannung war zu groß. Fein und zart begann der Riss in der Wand. Arbeitete sich beharrlich weiter hindurch. Einfach drauflos. In aller Freiheit. Diese Ungezähmheit ängstigt. Ist es hier noch sicher? Hier, wo alles zerbröckelt und zerbröselt?
Diese Spuren des Zerfalls sehe ich überall. Wie kleine Mahnungen drängen sie sich in meinen Kopf. Nichts bleibt für ewig, was auf Erden ist. Egal wie hoch die Mühe, der Aufwand gewesen sind. Dieser menschenvergessene Ort hier, durch den ich schlendere, scheint seinen Frieden darüber gefunden zu haben.
Ganz anders als die Häuser, die wir bewohnen. In denen jeder Riss für Unmut sorgt. Und wie der Riss mitten an der Decke einer Kirche, die ich mag. Zieht sich von einer Seite bis zur anderen. Still und leise rieselt Beton zwischen den beiden Hälften hindurch. Er bewegt sich.
Schafft sich Raum. Aber dort soll er nicht sein. Dort ist er nicht gut, der Riss im Gewölbe.
Welchen Klang er wohl hat? Klackert der Riss zart vor sich hin. Oder zerknirscht sich die Mauer dabei? Wie klänge es dann erst, wenn Gott den Himmel zerrisse? Die dichten Wolken, die ihn in vielen Geschichten umhüllen. Dort oben. Dort, wo der Himmel ist. Dort wähnen ihn doch viele. Weil es so vertraut ist, zu glauben, Gott säße nur dort oben und blicke auf die Welt herab. Ließe notieren, was so geschieht. Lange Listen voller Schmach und Verfehlung. Schüttele den Kopf über die Torheit der Menschen.
„Dabei bist Du mir, mein Gott, ganz anders lieb geworden. Ganz dicht und nah. Hast aufgerissene Wunden gekühlt, mein zerrissenes Herz zusammengefügt, wenn niemand sonst es vermochte. Und doch ist‘s mir, als würdest Du mir immer wieder entrissen und ins Exil in den Himmel gesperrt. Weil andere es nicht aushalten, Dich unter uns zu wissen.
Ach, dass Du doch den Himmel zerrissest, und kämst hervor aus Deiner Behausung im Himmel. Zerreiße die Mauern Deines Exils, die Dir Menschengedanken dort oben erschufen und steig herab. Denn so ist mir der Blick zu Dir versperrt! Aber vielleicht bist Du schon nicht mehr so verschanzt dort oben. Hast längst auf frühere Bitten reagiert und hast am Himmel herumgerissen. Wie Himmelsflocken fliegen die entrissenen Stücke Deiner vermeintlichen Behausung fort. Landen verstreut mal hier, mal dort. Haften an jenen, die sie berühren. Erzählen von Deiner Gegenwart. Und Du reißt weiter, immer weiter.
Ritsche, ratsche – Himmelshoffnungsflocken.
Boten vom Neubeginn. Wie Himmelsmanna für die Zeiten, wenn wir es vergessen, dass Du nah bei uns bist und auch dort oben.“
Pfarrerin Katharina Ende
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